Nelly RudinNelly Rudin






Der Rahmen ist das Bild - Ausstellung: Nelly Rudin im Bottroper quadrat


Konkrete Kunst, noch dazu wenn sie auf relativ strenger Geometrie fußt, müsste der Erfindung neuer Formen an sich sehr schnell Grenzen setzen. Und doch finden immer wieder auch Künstler, deren Namen nicht zu den allseits bekannten gehören, neue Lösungen. Die Schweizerin Nelly Rudin zum Beispiel, deren Werke das Bottroper quadrat jetzt zeigt. Rudin, 1928 in Basel geboren, zunächst Gebrauchsgrafikerin in der Industrie, später frei in Zürich, sozusagen einer Brutstätte der Konkreten Kunst, arbeitend, eroberte sich zunächst ihr Terrain. Sie suchte offensichtlich spielerisch nach Möglichkeiten, Flächen ästhetisch mit Farben zu gestalten, ohne sich besonders vom Gros ähnlich arbeitender Maler zu unterscheiden. Solche Bilder lassen sich im Katalog, nicht in der Ausstellung selbst finden. Die beschränkt sich auf jüngere Werke seit Mitte der 80er Jahre, als Rudin begann, das Geschehen mehr und mehr an den Bildrand zu verlegen. Nicht mehr die gesamte Fläche wurde durch Farben geteilt, sondern das meiste blieb weiß.
Streifen grenzten die Bildebene ein, nicht ganz, sondern entweder partikelhaft oder durch schräge Stücke einseitig. Schließlich wurde die Schaufläche immer mehr zum Nichts, während die Seitenkanten der fast zehn cm dicken Bilder als Hauptmalfläche fungierten. Im Grunde also wurden Gemälde zu dreidimensionalen Wandobjekten. Meist quadratisch, gelegentlich um 45 Grad gedreht, oft dreieckig.
Da außerdem die schiefen Grenzen der planen Oberflächen bisweilen eine scheinbare Räumlichkeit entstehen ließen, mischen sich reale und, wenn man so will, virtuelle Dreidimensionalität. Eine Mischung, die andere Künstler auf andere Weise natürlich auch erreichen konnten. Aber eben diese Lösung ist Nelly Rudins Besonderheit. Kein Wunder, dass sie im Lauf konsequenter Weiterentwicklung auf die Bildfläche ganz verzichtete und nur den Rand stehen ließ. Ungeeignet wäre freilich die Hängung auf einer Wand mit Blümchentapete... . Der Betrachter ergänzt die fehlende Fläche unwillkürlich und zwangsläufig; die bekannte Definition, Kunst sei stets die Kunst des Weglassens, ist nun zum Hauptprinzip des Rudinschen Schaffens geworden. Am wenigsten funktioniert das Ergänzen bei Objekten, die die Mitte einbeziehen: bei zarten Kreuzen aus bemaltem Aluminium. Wiederum folgt dann der nächste folgerichtige Schritt: Der Malgrund wird durchsichtig und geht - als Freiplastik - selbstbewusst in den Raum hinaus. Objekte aus Acrylglas entstehen, seit den 80er Jahren. Bemalt - so fein, dass die Farbe eher zu ahnen ist - werden nur die Kanten. Die roten, grünen, blauen Töne wirken wie geisterhaft in großen Glasringen, in gläsernen Pyramiden. Weniger in Prismen.
Es scheint dabei, als seien die real greifbaren Objekte und die aus Farbe darin "versteckten" in der Form nicht identisch. Die durchsichtigen aber harten Körper erhalten farbige Seelen, die seltsam unwirklich, räumlich nicht festlegbar erscheinen, dennoch besser sichtbar sind als die Körper.

Konrad Schmidt
Ruhr Nachrichten, Dortmunder Zeitung, 08. Februar 2001

zurück